Stellungnahme der CDU-Vorsitzenden zum Leserbrief vom 27.11.2015 im Soester Anzeiger
Sehr geehrter Herr Didem,
zunächst einmal danke ich Ihnen ganz herzlich für Ihren sehr sachlich formulierten Leserbrief. Die darin geäußerten Fragen und Bedenken sind allesamt berechtigt und – wie bereits am Freitag telefonisch erörtert – stimmen wir darin überein, dass Sie diese Zeilen sozusagen stellvertretend für viele andere Bürger in Ense öffentlich gemacht haben. Darum verdient dieser Leserbrief eine ebenso öffentliche Antwort:
Niemand kann heute mit Gewissheit sagen, wie viele Flüchtlinge im kommenden Jahr in unserer Gemeinde untergebracht werden müssen. Neben den bundes- und europaweit eingeleiteten Maßnahmen zur Begrenzung des Flüchtlingsstromes ist für die Städte und Gemeinden in NRW von Bedeutung, wie sich die Antragsbearbeitung entwickelt. Es zeichnet sich derzeit die Tendenz ab, dass über die Anträge, die entweder keine Chance (Balkanstaaten) oder sehr gute Chance (Syrien) auf Anerkennung haben, bevorzugt entschieden wird. Die Bescheide auf Anerkennung ergehen teilweise innerhalb eines Monats nach Antragstellung. Nach der Anerkennung besteht zum einen keine Anspruchsberechtigung nach dem Asylgesetz mehr und zum anderen fällt die Residenzpflicht weg. Viele Personen verlassen Ense danach kurzfristig. Auch in die Rückführung der Balkanflüchtlinge kommt allmählich Bewegung, erste Personen sind bereits ausgereist.
„Wie und wo sollen die Flüchtlinge untergebracht werden?“
Die Gemeindeverwaltung und der Rat sind sehr einig darin, dass eine Unterbringung in Sporthallen nur dann erfolgen soll, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Darum wird weiterhin Wohnraum in allen Ortsteilen angemietet. Gemeinsam mit privaten Investoren wird neuer Wohnraum geschaffen, Herr Textor hat den Bauantrag für ein erstes Projekt am Rochollweg in Bremen bereits gestellt. Mit der Fertigstellung wird Mitte 2016 gerechnet. Die Verwirklichung weiterer Projekte in Höingen und/oder Niederense sind denkbar. Die Wohnungen im ehemaligen Edeka werden in der ersten Jahreshälfte 2016 bezugsfertig, als Notlösung ist das jetzige Provisorium schon in Benutzung. Denkbar ist ebenso der Umbau weiterer gewerblich genutzter Räume und Gebäude. Entsprechende Angebote – eine ehemalige Gaststätte sowie eine Lagerhalle eines Unternehmens – liegen der Gemeinde bereits vor. Als Zwischenlösung steht ebenso das alte Krankenhaus in Bremen ab April bis Mitte des Jahres zur Verfügung. Insgesamt planen alle Verantwortlichen mit Augenmaß und nach Bedarf. Wir wollen so viel Wohnraum schaffen wie nötig und haben gleichzeitig ein Auge darauf, Überkapazitäten zu vermeiden.
„Welche Kosten kommen auf die Gemeinde zu und wie sollen sie gedeckt werden?“
Nach groben Schätzungen – exakte Zahlen werden erst im nächsten Jahr verfügbar sein – haben wir in diesem Jahr durchschnittlich 750 € pro Flüchtling und Monat ausgegeben. Mit den Zuschüssen aus Land und Bund können die tatsächlichen Kosten für den Lebensunterhalt, Krankenhilfe, Unterbringung, Personal, Integration etc. nicht vollständig abgedeckt werden.
Ab Januar 2016 werden die Aufwendungen der Kommunen mit 10.000 € pro Flüchtling und Jahr durch Bund und Land abgefedert. Damit werden immer noch nicht alle Kosten gedeckt, doch die Kostendeckungsquote fällt höher aus als in diesem Jahr. Sie haben bereits in der Zeitung gelesen, dass (selbstverständlich) der Personalaufwand seitens der Verwaltung steigt. Gebraucht werden vor allem Hausmeister und Sozialarbeiter, die sich um die Flüchtlinge kümmern. Empfohlen wurde den Kommunen seitens des Landes pro 50 Flüchtlinge jeweils eine halbe Hausmeister- bzw. Sozialarbeiterstelle zu kalkulieren. Dies ist dem Aufwand entsprechend sicherlich realistisch. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, muss an dieser Stelle die hohe Hilfsbereitschaft der Menschen in Ense für die Flüchtlinge hervorgehoben werden. Ob als Aktive im Warenkorb, der Kleiderkammer, bei „Möbel und mehr“ oder der Freiwilligenagentur oder als passive Spender von Lebensmitteln, Hausrat, Spielen und Kleidung – Viele packen mit an. Nicht zuletzt natürlich das DRK und die Initiative „Flüchtlinge werden Nachbarn“ und alle Organisationen und Vereine, die die zunächst einmal Fremden in unsere Mitte holen. Ich danke ihnen allen dafür!
„Wie viele Flüchtlinge können wir in unserer Gemeinde noch aufnehmen bis wir an praktische Grenzen stoßen?“
Diese Frage stellt sich so nicht. Wir können nicht entscheiden sie aufzunehmen oder abzulehnen. Wir bekommen die Menschen nach einem landeseinheitlichen Schlüssel zugewiesen und haben die Aufgabe, uns um sie zu kümmern. Punkt.
An vielen Stellen sind wir bereits an praktische Grenzen gestoßen:
Zu Beginn des Jahres dachten wir alle, es würde schwierig werden, die prognostizierten 100 Flüchtlinge aufzunehmen. Inzwischen haben wir bereits 250 Menschen ein Dach über dem Kopf geboten. Die Erfahrung aus den letzten Monaten lehrt uns, dass die von uns gesehenen Grenzen längst nicht so starr sind wie befürchtet. Wenn nötig, können wir sie verschieben, den uns zur Verfügung stehenden Raum erweitern. Bis jetzt ist das gelungen. Wie schon oben beschrieben ist das hauptamtliche Personal der Verwaltung in dieser Situation extrem gefordert und braucht Entlastung. Einen erheblichen Anteil an dieser Entlastung steuern die Ehrenamtlichen bei. Und trotzdem stoßen wir auch an dieser Stelle ganz sicher an unsere Grenzen. Darum muss weiteres Personal zeitlich begrenzt eingestellt werden. Auch hier gilt es, die Grenzen zu verschieben, uns Luft zu verschaffen. Bis jetzt gelingt das.
Und auch bei der Versorgung und Ausstattung der Flüchtlinge sind wir bereits an Grenzen gestoßen. Dem Warenkorb fehlten Lebensmittel, „Möbel und mehr“ hat sein Sortiment erweitert, „Flüchtlinge werden Nachbarn“ organisieren Fahrräder und Kinderwagen etc., die Kleiderkammer brauchte mehr Personal und mehr Kleidung. Bis jetzt gelingt auch das.
Sehr geehrter Herr Didem,
einerseits habe ich großes Verständnis für die Angst vieler Enser, dass wir in dieser Gemeinde mit der aktuellen Flüchtlingssituation überfordert seine könnten. Andererseits habe ich großes Vertrauen in die Kreativität und die Entschlossenheit meiner Mitbürger, die nach meiner Wahrnehmung mit großer Mehrheit diese etwas ungewöhnliche Situation unbedingt meistern wollen.
„Was sagen Sie darum als Vertreter der Basis vor Ort Ihrer Parteiführung im Land bzw. in Berlin?“
Vom Land wünsche ich mir, dass die vom Bund bereit gestellten Gelder zu 100% in Ense ankommen. Und bei den Bundestagsabgeordneten bedanke ich mich für die zusätzlichen Gelder. Wir brauchen sie dringend. Darüber hinaus erwarte ich von allen Politikern, die Bundeskanzlerin in ihrem Bemühen zu unterstützen, den Menschen, die zu Hause verfolgt werden, deren Leben durch Kriegshandlungen dort bedroht ist, eine sichere Zukunft zu bieten. Angela Merkel braucht Unterstützung auf allen Ebenen. Die Kommunen müssen überdurchschnittliches leisten bis der Flüchtlingsstrom kleiner wird. Die Länder müssen die Verfahren beschleunigen und die Organisation der Unterbringung optimieren. Der Bund muss Finanzhilfen für die wohnortnahe Versorgung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen und die EU für eine gleichmäßigere Verteilung der Flüchtlinge auf die Nationalstaaten sorgen.
Dieses alles muss sicherlich getan werden. Aber: Dieses alles kann unmöglich in einem Zeitraum von 6 Monaten oder einem Jahr erledigt sein.
Darum appelliere ich an alle, mit Zuversicht und Geduld die derzeitige Ungewissheit zu ertragen, auszuhalten.
Wir mussten über viele Jahrzehnte eine Mauer und Stacheldraht mitten durch unser Land ertragen und aushalten – ich persönlich habe genug von Mauern und Stacheldrähten, ganz gleich wo. Abschottung und Ausgrenzung gegenüber Flüchtlingen? Sie dürfen auch dann nicht zur Anwendung unter freien Menschen in freien Staaten kommen, wenn es mal etwas weniger komfortabel hier vor Ort wird! Dies ist meine feste Überzeugung.
Ich hoffe, ich habe Ihre Fragen ausführlich und verständlich beantwortet. Ich danke Herrn Schröder, dem Leiter des zuständigen Fachbereiches in der Verwaltung, für die Unterstützung durch die Bereitstellung von Daten und Fakten und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Ihre Silvia Klein